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Wie der Bund die Zuwanderung aus der EU unterschätzte

Aktualisiert: 5. Juli



Höher als gedacht: Nettoeinwanderung aus der EU. Bild: Pixabay
Höher als gedacht: Nettoeinwanderung aus der EU. Bild: Pixabay

Der Bund rechnet bis 2055 mit einem Zuwachs von 1,5 Millionen Personen, vor allem getrieben durch die Personenfreizügigkeit. Allerdings hat der Bund in der Vergangenheit die Zuwanderung aus der EU massiv unterschätzt.


Warum das wichtig ist: Die Szenarien des Bundesamts für Statistik (BFS) zur Bevölkerungsentwicklung dienen als Grundlage für zahlreiche weitere Berechnungen des Bundes. Liegt das BFS mit diesen Szenarien daneben, hat dies Auswirkungen auf viele Bereiche.


Das BFS aktualisiert die Berechnungen zur Bevölkerungsentwicklung etwa alle fünf Jahre. Mit der aktuellen Publikation knüpft das Bundesamt somit an eine Reihe früherer Statistiken an.

  • Im Vergleich zu den beiden vorangegangenen Berechnungen in den Jahren 2015 und 2020 mussten die Szenarien nur geringfügig angepasst werden.

  • Die Ergebnisse der aktuellen Version fallen sogar etwas niedriger aus: Für das Jahr 2050 rechnet das aktuelle Szenario statt mit 10,4 Millionen Einwohner (Szenarien 2020) mit rund 100’000 Einwohner weniger.



In der aktuellen Publikation zeigt sich das BFS selbstkritisch: Man habe in der Vergangenheit die Entwicklung der ausländischen Wohnbevölkerung unterschätzt – sowohl jene aus dem EU-Raum als auch jene von ausserhalb.

  • Betrachtet man beispielsweise die Berechnungen aus dem Jahr 2010, so zeigt sich, dass die tatsächliche Bevölkerungsentwicklung damals nur knapp unterhalb des oberen Szenarios lag.

  • Für das Jahr 2050 berechnete das BFS damals im Referenzszenario eine Bevölkerung von knapp unter neun Millionen. Diese Marke hat die Schweiz bereits 2024 überschritten – ein Vierteljahrhundert früher als gedacht.

Je weiter man in die Vergangenheit zurückgeht, desto grösser wird die Diskrepanz zwischen der vorausgesagten und der tatsächlichen Bevölkerungsentwicklung.

  • So haben die Berechnungen aus dem Jahr 2006 die tatsächliche Entwicklung völlig verfehlt. Nicht einmal das obere Szenario wurde der tatsächlichen Entwicklung gerecht.

O-Ton BFS: «Diese Abweichung ist im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass der Wanderungssaldo im Jahr 2007 ziemlich und im Jahr 2008 stark unterschätzt wurde. Genauer gesagt hängt der Unterschied mit der Einwanderung zusammen.» (Aus: Szenarien 2010)

Die Berechnungen aus dem Jahr 2001 gingen langfristig sogar von einer abnehmenden Bevölkerungszahl aus.

  • Für das Jahr 2015 rechnete das BFS im hohen Szenario – das notabene von einer «Intensivierung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU» ausging – mit einer Zuwanderung von jährlich 42’200 Personen aus dem EU-Raum.

  • Doch es kam anders: Die tatsächliche Zuwanderung aus dem EU-Raum belief sich im Jahr 2015 auf 110’850 Personen.



Dass die markanten Differenzen auf die unterschätzte Zuwanderung aus dem EU-Raum zurückzuführen sind, wird in der Publikation von 1996 am deutlichsten.

  • Bis zum Inkrafttreten der Personenfreizügigkeit stimmen die Berechnungen des BFS weitgehend mit der tatsächlichen Entwicklung überein. Danach öffnet sich die Schere.

Meine Beurteilung: Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass sich der Bund bei der Zuwanderung aus der EU in der Vergangenheit massiv verschätzt hat. Die Diskrepanzen zwischen den Berechnungen des BFS und der tatsächlichen Bevölkerungsentwicklung in den ersten Jahren der Personenfreizügigkeit sprechen Bände. Die geringen Korrekturen bei den letzten Berechnungen lassen aber darauf schliessen, dass sich das BFS bei den aktuellen Berechnungen sicher fühlt. Da das BFS in den letzten 10 Jahren mit seinem oberen Szenario jeweils richtig lag, würde ich jedoch über den Daumen schätzen, dass sich die Bevölkerungszahl der Schweiz bis 2050 eher gemäss dem oberen Szenario entwickeln wird.



Dieser Beitrag wurde zuerst im «Nebelspalter» publiziert. Siehe hier: Link

 
 
 

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